Dialog auf Augenhöhe

Moderation:

Pascal Tannich, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU Eichstätt)

Impulsgeber:

Prof. Dr. Klaus Meier, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU Eichstätt)

Martin Giesler, Journalist & Blogger, Herausgeber Social Media Watchblog, Göttingen

Fritz Wolf, das medienbüro, Düsseldorf, erhielt Lehraufträge von verschiedenen Universitäten

1. Worum geht es?

Was muss geschehen, damit ein „Dialog auf Augenhöhe“, ein thematisch klar umrissener Austausch unter möglichst gleichen Voraussetzungen, zwischen Redaktionen und Rezipienten entstehen kann? Dieser Frage widmete sich die Arbeitsgruppe 1 auf der Tagung ‚Journalismus auf Augenhöhe. Das Publikum, die Glaubwürdigkeit und die neuen Kommunikationsstile‘ vom 24. bis zum 25. November in Darmstadt. Die Schader-Stiftung hatte Journalisten und Journalistinnen aus Theorie und Praxis eingeladen, um die verschiedenen Diskussionen auf ein möglichst breites Erfahrungsfeld zu stellen. Unter der Leitung von Pascal Tannich, Doktorand der Journalistik an der KU Eichstätt, diskutierten die Impulsgeber Prof. Dr. Klaus Meier, Journalistikprofessor an der KU Eichstätt, Martin Giesler, der Herausgeber des Social Media Watchblogs und Fritz Wolf, Publizist bei ‚das medienbüro‘ mit weiteren Teilnehmern aus der Praxis. Die Diskussion fand auf der Basis statt, dass Nutzerkommentare als „Leserbrief 2.0 möglicherweise einen qualitativ hochwertigen partizipativen Journalismus fördern, der professionelle Journalisten mit wertvollem Feedback, geistreichen Diskussionen zwischen Rezipienten und neuen Rechercheanregungen versorgt.“ (Ziegele 2016: 17)

Über Jahrzehnte hinweg funktionierte der Dialog zwischen Presse und Publikum nach einem recht klaren Muster: Die Presse war der Sender und der Rezipient der Empfänger. Das einzige Kriterium, nach dem die Kommunikation als erfolgreich oder gescheitert bewertet wurde, ist, ob der Inhalt der Nachricht vom Empfänger so dekodiert werden konnte wie vom Sender vorgesehen. (vgl. Traut-Mattausch/Frey 2016: 536 f.) Die Presse publizierte etwas, kreierte damit eine Wirklichkeit und der Zuschauer hatte die Möglichkeit, diese Wirklichkeitskonstruktion wahrzunehmen oder nicht wahrzunehmen. Neben der Zeitung gab es im Nachkriegsdeutschland das Radio und seit den 1950er Jahren den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, um sich auch im Fernsehen weitergehend zu informieren. Die einzige Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit den Medien war ein Anruf in der Redaktion oder ein Brief. Diese klare Unterteilung zwischen den Medien, die öffentliche Information bereitstellten und den Rezipienten, die diese konsumierten, gehört der Vergangenheit an. Das Internet hat die Kommunikationsströme grundlegend verändert. „Auf Websites, die das Kommentieren von Nachrichten ermöglichen, ist das klassische Sender-Empfänger-Schema zu einem gewissen Grad aufgelöst und Nutzer betätigen sich neben Journalisten als zusätzliche Kommunikatoren.“ (Ziegele 2016: 16)

Doch diese ‚Einbahnstraße‘ des Sendens und anschließenden Dekodierens einer Nachricht, die von der Redaktion zum Publikum verläuft, bekam in den letzten Jahren eine Menge Gegenverkehr: Die Anschlusskommunikation des Publikums zurück zur Redaktion hat deutlich zugenommen. Diese Entwicklung ist vor allem auf das Internet zurückzuführen. Das Internet und die darin entstandenen Social-Media-Kanäle laden jeden dazu ein, diese ‚Straße des Austauschs‘ mit zu benutzen, obwohl sie vielleicht noch nicht ausgebaut ist – zumindest aus Sicht der Medienakteure. Im Jahr 2015 kom­mentierten nur 1,16 Millionen Menschen ab und zu journalistische Artikel, nur 250.000 Personen gaben an dies regelmäßig zu tun. (vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/215710/umfrage/internetnutzer-die-kommentare-zu-artikeln-von-journalisten-schreiben/, Zugriff am 18.01.2018)

Trotz dieser geringen Zahlen an Internetnutzern, die aktiv kommentieren, ist das Thema Anschlusskommunikation im wissenschaftlichen Diskurs sehr präsent. Denn durch die zunehmende Verbreitung des Internets und die Etablierung des ‚Social Web‘ führen Menschen Gespräche über Medieninhalte zunehmend öffentlich sichtbar und in einem direkten Bezug zu den veröffentlichten Medieninhalten. (vgl. Ziegler 2016: 15) Anschlusskommunikation lässt sich weiter untergliedern in drei zentrale Funktionen: die Informationsfunktion, die Integrationsfunktion sowie die Partizipationsfunktion. Mediale Anschlusskommunikation kann für die einzelne Person der weiteren Information dienen, sie kann für politische und gesellschaftliche Integration sorgen aber auch dazu führen, dass die einzelne Person ein medial bearbeitetes Thema ‚weiterbearbeitet‘, also am aktiven medialen Geschehen partizipiert. (vgl. Porten-Cheé 2017: 17 f.) Ein besonderer Fokus kommt im generellen Kontext der Anschlusskommunikation den Nutzerkommentaren zu, da diese sich „zu einem populären, wenn nicht sogar zu dem populärsten Phänomen öffentlicher Online-Partizipation entwickelt“ haben. (Ziegler 2016: 16) Mittlerweile gelten Online-Nachrichten ohne die Funktion von Nutzerkommentaren sogar als unseriös und verdächtig. (vgl. Ziegler 2016: 16)

Die Wichtigkeit dieses Phänomens zeigt sich auch in neuartigen Begriffen wie „Hass-Kommentare“ oder „Trolle“. (vgl. http://www.zeit.de/2017/22/internet-trolle-hetze-aussteiger, 02.02.2018) Doch trotz all der negativen Aspekte, wie der Diffamierung von Bevölkerungsgruppen oder Einzelpersonen, erscheint das Phänomen Nutzerkommentare als Chance für einen Austausch zwischen Rezipienten und Redaktionen, der unter professionellen Vorzeichen geführt wird und damit der politisch informierenden sowie meinungsbildenden Funktion der Medien in Deutschland gerecht wird. (vgl. Porten-Cheé 2017: 17) Auf Grundlage dieser hohen Relevanz des Themas hat sich die Arbeitsgruppe 1 unter dem Titel „Dialog auf Augenhöhe“ mit dem redaktionellen Umgang mit Nutzerkommentaren auseinandergesetzt.

2. Der Weg zum Konzept

Ein Dialog wird auch Zwiegespräch oder Wechselrede genannt und beschreibt im klassischen gesellschaftlichen Kontext zwei Personen, die sich mündlich unterhalten und dabei Argumente austauschen. (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Dialog, 18.01.2018) Im Journalismus versteht man unter Dialog die Kommunikation zwischen Redaktion und Rezipient. In der journalistischen Praxis ist das Wortfeld Dialog eng mit den verschiedenen Dialogformen verknüpft, mit denen ein Dialog zwischen Journalismus und Publikum entstehen kann (Nutzerkommentare, Leserbriefe, Leserstammtische etc.). Aus journalistischer Perspektive war das Dialogverhältnis zwischen Redaktion und Publikum nicht gestört. Nur sieht das Publikum dies komplett anders. Das Publikum hingegen nutzt die neu gewonnen Möglichkeiten vor allem zur Äußerung von Unzufriedenheit mit der Berichterstattung. So wird der Presse vorgeworfen, eine zu große Nähe zur Politik zu haben, einseitig zu berichten, mediale Geschehnisse zu inszenieren und eine zu hohe Abhängigkeit von der Werbung aufzuweisen. (vgl. Wolf 2015: 9 f.) Das Vertrauensverhältnis zwischen Medien und Publikum ist nachhaltig gestört und die klare Hierarchie früherer Tage (Journalist als Sender und Publikum als Empfänger) passé. Journalistische Dialogformen sind zahlreich im Umlauf, die große Herausforderung für den Journalismus ist jedoch, einen Dialog auf Augenhöhe zu führen, einen Dialog, der „direkter und weniger hierarchisch“ (https://www.schader-stiftung.de/fileadmin/content/Programmflyer_Journalismus_auf_Augenhoehe15112017.pdf, 02.02.2018) geworden ist. Sowohl die Problematik der Hasskommentare als auch die Lügenpresse-Vorwürfe, aber auch eine gewisse Intransparenz der Redaktionen, vor allem was journalistische Arbeitsformen angeht, zeigt, dass es zwar ein großes Diskussionsbedürfnis gibt, daraus aktuell aber weder für die Presse noch für ihr Publikum ein Mehrwert entsteht.

Wie man dieser Situation begegnen kann und über den Dialog der „Beziehungskrise“zwischen Presse und Publikum begegnen und sie eventuell auch verändern kann, wurde in Darmstadt über zwei Tage diskutiert. (Wolf 2015: 8)

Transparenz als Vertrauensbasis

Aufgrund dieser Beziehungskrise, die sich in einzelnen Medienereignissen wie dem Germanwings-Absturz oder der Krim-Krise besonders zeigte, plädiert der Medienkritiker Fritz Wolf, einer der Impulsgeber, dafür, dass eine Beziehung zwischen dem Publikum und den Medien auf einer demokratischen Ebene aufgebaut werden müsse. Dies steht im Gegensatz zu den derzeitigen Entwicklungen, in denen vor allem Zahlen, Auf­lagenverkäufe sowie Einschaltquoten, als Maßstab für (journalistischen) Erfolg gewertet wird. Für Wolf ist es entscheidend, dass die Arbeits- und Produktionsweisen der Journalisten (=inner­lich) dem Publikum erklärt, also transparent gemacht werden. Seiner Meinung nach sollte beispiels­weise der ARD Programmbeirat öffentlich diskutieren. Das Beispiel Programmbeirat wurde inner­halb der Arbeitsgruppe kontrovers diskutiert: Zwar fördere eine öffentliche Diskussion die Transpa­renz und ggf. auch das Vertrauen des Publikums, allerdings sei es aus ökonomisch-strategischen Gründen nicht möglich. Kein Unternehmen lege der Konkurrenz strategische Details offen.

Transparenz kann auf verschiedenen Ebenen erreicht werden. Einig waren sich die Diskutanten der Arbeitsgruppe, dass jede Redaktion transparent damit umgehen muss, wer auf die User-Kommenta­re antwortet, ob es die Social-MediaRedaktion oder der Autor selbst ist. Auch die Inszenierung von Medienereignissen steht konträr zum Bemühen um eine größtmögliche redaktionelle Transparenz, da dies im Umkehrschluss die Wirklichkeit nach Außen ver­zerre und dem Vertrauen der Rezipienten schade. Presseombudsmänner einzuführen, die als ein Bindeglied zwischen Publikum und Medien fungieren sollen, ist ein weiterer Ansatz, der diskutiert wird. Denn Misstrauen und Hass entstünden erst, wenn eine Medienorganisation sich nicht transparent zeige und sich nicht äußert.

Transparenz ist vor allem dahingehend entscheidend, nachhaltig Vertrauen zwischen Medien und ihrem Publikum zu schaffen. Denn ein Dialog, egal in welcher Form, entsteht nur dann, wenn sich die beiden Dialogpartner vorurteilsfrei und auf einer grundlegenden vertrauensvollen Basis begegnen können. Das kann aber nur erreicht werden, wenn auch über Berichterstattungsfehler wie im Falle des Terroranschlags auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ ein offener Dialog geführt wird und Fehler von Seiten einzelner Redaktionen zugegeben werden. Im Fall „Charlie Hebdo“ wurden von Medienhäusern weltweit Fotos von Staatspräsidenten unter der Führung von Frankreichs damaligem Präsidenten Francois Hollande aus der Frontalansicht gezeigt, die sich soli­darisch mit den Anschlägen auf Frankreich zeigen und eine Kette bilden, die symbolisch für Einheit gegen Terrorismus stehen sollte. Einige Medien empfanden es aber wohl nicht als relevant, ihre Re­zipienten darüber aufzuklären, dass dieses Bild in einer Nebenstraße aufgenommen wurde, abseits der Demonstranten und umringt von Sicherheitspersonal. Als dies publik wurde, wurde schnell von Inszenierung, Intransparenz und Lügenpresse gesprochen. „Die Glaubwürdigkeit des gesamten Journalismus leidet unter solchen Täuschungen einzelner Medien“, so Vinzenz Wyss, Journalistik-Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur. (Online abrufbar unter: https://www.srgd.ch/de/aktuelles/2015/03/24/bilder-im-fokus-wirklichkeit-oder-illusion/, Zugriff am 20.01.2018)

Facebook als Vertriebskanal

Der Blogger und Coach Martin Giesler wählte in der Diskussion einen praktischen Ansatz. Giesler nannte Beispiele, wie ein zukünftiger Dialog in der Praxis aussehen könnte. Dabei orientierte er sich vor allem daran, wie man thematisch ähnliche Kommentare mit Hilfe von Facebook-Funktionen so gruppieren kann, dass ein Dialog zwischen Menschen mit dem gleichen thematischen Interesse entstehen kann.

1.     So gibt es die Möglichkeit bestimmte Beiträge in Facebook-Gruppen zu posten, die sich gesondert mit dem im Beitrag behandelten Thema befassen. Diese „bedingte Öffentlichkeit“ (Ziegler, 2016: 31) auf Face­book verkleinert die Zahl der an die Redaktion gerichteten Kommentare. Zudem kann man bei sol­chen Gruppen eher davon ausgehen, dass man sich mit seinem Beitrag an Menschen richtet, die über das Thema wirklich diskutieren und nicht nur ihrem Ärger Luft machen wollen. Er habe beobachtet, dass dadurch in der Praxis oft eine konstruktive Diskussion entstünde.

2.     Eine weitere Chance besteht darin, Artikel via „Facebook Messenger“ wiederum an eine klei­nere Öffentlichkeit zu versenden. So würde Facebook zum primären Diskussionskanal für Redak­tionen werden. Dieser Vorstoß erntet in der Arbeitsgruppe eher Kritik als Zustimmung.

Social Media sei zuvorderst ein Kanal, um Reichweite zu erzielen, nicht um Diskussionen oder Dia­loge anzuregen, so Professor Meier. „Facebook wird derzeit eher als Vertriebskanal für die Medien genutzt, aber nicht als Diskussionskanal, eine Änderung sei wünschenswert.“ Es sei wichtig sich klar zu machen, dass Facebook derzeit eher die Quoten und Reichweiten von journalistischen Publi­kationen erhöht und daher eher gewinn-, als qualitäts- oder gar dialogorientiert ist. Um diesen Fakt zu ändern, so Meier, müsse für die Unternehmersicht ein messbarer Mehrwert (Gewinn) vorliegen, um den Umgang mit Facebook zu verändern. Die Forschung müsse also darlegen, dass sich durch einen Dialog mit dem Publikum beispielsweise das Image der Medienmarke positiv verändere und dadurch mehr Gewinn erzielt werden könnte (z.B. durch Abonnenten) – es geht darum, das wirt­schaftliche Interesse zu wecken. Die Frage, was mit den geäußerten Meinungen in den Kommentarspalten in einzelnen Redaktionen passiert, sollte in erhöhtem Maße Bestandteil journalistischer Forschung sein, da hierüber zu wenig wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse vorliegen.

Ein Kommentar ist nicht immer ein Dialogangebot

Diese These, dass die Diskussionsforen auf Social-Media-Plattformen wie Facebook eher der Ver­breitung als einem Dialog dienen, wird bestärkt durch eine Studie der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Diese besagt, dass 34 Prozent der Kommentierenden mit anderen Nutzern disku­tieren wollen. 18 Prozent der Befragten gaben sogar an, ihrem Ärger Luft machen zu wollen (vgl. Schultz/Jackob/Ziegele/Quiring/Schemer 2017: 252). Nur rund 250.000 Personen in Deutschland kommentierten im Jahr 2015 regelmäßig Online-Artikel. (vgl.https://de.statista.com/statistik/daten/studie/215710/umfrage/internetnutzer die kommentare-zu-artikeln-von-journalisten-schreiben/, Zugriff am 18.01.2018) Diese Zahlen zeigen, dass die wenigen Menschen, die kommentieren, nur in seltenen Fällen den Kontakt zu Redaktion suchen. Dem Großteil der Online-Diskutanten geht es darum, sich mit anderen Usern über das Thema auszutauschen. Um einen Dialog zwischen Journalismus und Publikum und nicht nur zwischen verschiedenen Rezipienten zu gestalten, sollte sich die Journalismusforschung in den kommenden Jahren mit dem Thema befassen, zu welchen Hauptzwecken Nutzerkommentare verfasst werden und wie ein Dialog von Rezipienten mit Redaktionsmitgliedern in Diskussionsforen gestaltet werden könnte. 

Dialogformen neu gedacht

Um sich thematisch wieder von Social Media und insbesondere Facebook zu entfernen, wurde auch darüber diskutiert, ob herkömmliche journalistische Dialogformen nicht ebenso gut für Transparenz sorgen können. So kam der Vorschlag zur Sprache, ob eine Art zeitlich begrenzte (Online-) Sprechstunde eines Journalisten, an den sich Rezipienten in einer 1:1-Kommunikation mit ihren Fragen und Meinungen schriftlich wenden können, ein sinnvoller Beitrag zu einem verbesserten Dialog wäre. Abseits der digitalen Möglichkeiten wurde auch der traditionelle Leserstammtisch als eine gute Möglichkeit gesehen, mit dem Publikum in Verbindung zu treten, auch wenn diese Art des Dialogs nur noch von wenigen Redaktionen geführt wird.

Beispielhaft wird diskutiert, dass es in einzelnen Lokalredaktionen üblich ist, dass die Redakteure den Lesern eine Themenauswahl präsentieren und das von den Lesern gewählte Thema wird dann wiederum von den Journalisten recherchiert. So fühlen sich die Leser ernst genommen und für ein hohes Maß an Transparenz sorgen solche Aktionen von Redaktionen ebenso. Auch die Süddeutsche Zeitung führte 2013 ein ähnliches Projekt durch. (vgl. http://www.sueddeutsche.de/kolumne/projek­t-die-recherche-sie-stimmen-ab-wir-recherchieren-1.1687183 2018) Das sei eine Publikumsagenda, erklärt Fritz Wolf und mahnt, dass das nicht für alle Themen umsetzbar sein sollte, da die journalis­tische Unabhängigkeit gewahrt bleiben müsse. Er plädiert für die klassische Recherche vor Ort um Themen zu akquirieren. Ein positives Beispiel hierfür ist die Multimedia-Story „Jeder Sechste ein Flüchtling“ des SWR. In Meßstetten, einer Kleinstadt in Baden-Württemberg, wurden im Zuge der Flüchtlingskrise tausend Flüchtlinge einquartiert. Die Berichterstattung des SWR zeichnete sich anschließend vor allem dadurch aus, dass sie direkt aus Meßstetten über die Überforderung der Stadt, aber auch aus der Perspektive der Bürger berichtete. (vgl. http://multimedia.swr.de/asyl-suchende-fluechtlinge-in-kaserne-messstetten#746, Zugriff am 21.01.2018)

Die Vorgehensweise der Multimedia-Story weist innere und äußere Transparenz auf, da die Ar­beitsweisen der Journalisten transparent gemacht wurden, die Journalisten aber auch aktiv den Dia­log mit der Bevölkerung gesucht haben. Laut der Autorin Sandra Müller ist es wichtig, den Men­schen immer wieder erneut zu erklären: „Was machen wir? Wie machen wir es und, falls sich jemand beschwerte, sich das anzuhören und anschließend darüber zu reden.“ Dieses Beispiel zeigt, wie ein Dialog auf Augenhöhe im Lokalen stattfinden kann durch die Nähe zum Rezipienten.

Beschränkte Anschlusskommunikation als Lösung?

Die erfolgreichen Beispiele für Anschlusskommunikation finden sich vor allem im lokalen Print-Journalismus wieder. Doch versuchte die Arbeitsgruppe 1 den Dialog auch in den Onlinejournalismus zu integrieren. Drei Arten von Menschen, die die Online-Kommentarspalten passiv oder aktiv nutzen, kristallisierten sich während der Diskussion heraus:

  1. Menschen, die sachlich über das behandelte Thema diskutieren wollen (jedoch mehrheitlich mit anderen Nutzern)

  2. Menschen, die vor allem ihre eigene Meinung vertreten wollen und dabei gelegentlich beleidigend werden

  3. Die stille Mehrheit“. Menschen, die sich online selbst nicht zu Wort melden, Online-Diskussionen aber verfolgen.

Das Problem der Beleidigungen und der Gegendarstellung von Privatpersonen, die die Berichterstattung der Medien als ‚Fake News’ betiteln, eine andere Version des Inhalts in die Kommentarspalte schreiben und dadurch die meisten Rezipienten in einem unsicheren Informationszustand zurücklassen, wurde in Norwegen durch einen didaktischen Ansatz probiert zu lösen. Dort hat die norwegische Nachrichtenseite ‚NRKbeta’ ein System eingeführt, dass Personen, die den Artikel kommentieren wollen, einzelne Fragen zum Artikel stellen, um sicherzustellen, dass sich die Kommentare möglichst auch auf das behandelte Thema beziehen.

Den Rezipienten werden drei Multiple-Choice Fragen gestellt. Denn nur, wenn sich alle Rezipienten im Klaren darüber sind, worum es im Artikel geht, sei eine Basis für die Diskussion geschaffen, so der Redakteur Ståle Grut (vgl. http://www.niemanlab.org/2017/03/this-site-is-taking-the-edgeoff rant mode by making-readers­pass-a-quiz-before-commenting/2017, Zugriff am 20.01.2018).

Abb. 3

(Quelle: Kannenberg, Axel (2017): Die norwegische Trollbremse: Erst Quiz lösen, dann im Forum diskutieren. https://www.heise.de/newsticker/meldung/Die-norwegische-Trollbremse-Erst-Quiz-loesen-dann-im-Forum-kommentie­ren-3642488.html,  05.01.2018)

3. Das Ergebnis

Kommunikation löst Anschlusskommunikation aus

Der durchschnittliche Medienkonsum in Deutschland ab 15 Jahre beträgt 10 Stunden täglich. Befragungsdaten aus den Jahren 1996/97 und 2007 zeigen zudem, dass sich rund 85 Prozent aller befragten Personen in der Woche vor der Befragung über Medieninhalte unterhalten haben. Das legt nahe, dass eine hohe Mediennutzung auch viel mediale Anschlusskommunikation auslöst. (vgl. Ziegele 2016: 43 f.) Das wiederum zeigt, wie wichtig es für den Journalismus ist, einen funktionierenden Dialogkanal, eine Art ‚heißen Draht’, zwischen Presse und Publikum zu etablieren. Das hängt wiederum entscheidend davon ab, wie gut es dem Journalismus gelingt, seine neue Rolle als Dialogpartner anzunehmen und zu verstehen, welche Muster im Kommentarverhalten der Rezipienten zu erkennen sind. Um adäquate Anschlusskommunikation anbieten zu können, gilt es in den nächsten Jahren für die Journalismusforschung, Instrumentarien zur Untersuchung der Anschlusskommunikation im Allgemeinen, aber für die Nutzerkommentare im Besonderen zu entwickeln, da das Internet als Informationsquelle immer wichtiger wird. Die zehn größten deutschen Nachrichtenportale erreichten 2013 eine Bruttoreichweite von 80 Millionen Unique Usern. (vgl. Ziegele 2016: 45) Nur so kann von Medienseite ein Dialog angeboten werden, der so auf das Publikum zugeschnitten ist, dass ein Dialog entstehen kann, und nicht nur die Veröffentlichung einzelner Meinungen.

Um Misstrauen und Miss­mut seitens der Rezipienten entgegen zu treten, wird es in Zukunft entscheidend sein, dass die Redaktionen nach transparenteren Kriterien arbeiten. Das gilt sowohl für die eigene Recherche und weitere redaktionelle Arbeitsabläufe, aber auch für Moderationsregeln von Kommentarspalten, anhand derer „die Nutzer das soziale Klima der Kommunikation mit Journalisten und anderen Nutzern bewerten“ können. (Ziegele 2016: 311) Diese grundlegende Transparenz ist vor allem dann wichtig, wenn ein Beitrag grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten hervorruft. Neben der Transparenz ist entscheidend, dass die Redaktionen den Diskussionsraum klar ein­grenzen müssen, um einen fruchtbaren Dialog zu ermöglichen. Dies betrifft nicht nur die themati­sche (z.B. durch Facebook-Gruppen) sondern insbesondere die zeitliche Dimension, denn ein Jour­nalist kann nicht verpflichtet sein endlos zu kommunizieren.

Dialog auf Augenhöhe

Für die Moderation von Dialogen ist es wiederum entscheidend, dass der betreffende Redakteur im Bereich Social-Media-Kommunikation ausgebildet ist. Denn zuvorderst ist ein Journalist eine Person, die nachrichtliche Inhalte kommuniziert. Trotz der Wichtigkeit von Anschlusskommunikation darf nicht der Fall ein­treten, dass ein Journalist zu einer Art Sozialarbeiter wird, bei dem alle Bundesbürger ihre Sorgen sowie gesellschaftlichen Eindrücke abladen können. Dies ist vor allem durch die klare Eingrenzung des Diskussionsraumes zu erreichen.

Aber auch die Rezipienten müssen ihren Beitrag leisten. Die „Kommentarschranken“ wurden in der Diskussion als ein Mittel gesehen, das in der Praxis ausprobiert werden sollte, um die Zahl der Kommentare zu verkleinern und ausschließlich über das Hindernis „Quiz“ oder „Angabe von Grün­den“ Leute zu erreichen, die sich sachlich mit dem Thema auseinandergesetzt haben.

Um einen (konstruktiven) Dialog zwischen Journalismus und Publikum zu ermöglichen, müssen so­wohl die Redakteure als auch die Rezipienten eine gemeinsame Richtlinie finden, an der man sich mit seinen Kommentaren, aber auch mit den entsprechenden Transparenzkriterien messen lassen kann. Diese Richtlinie zu formulieren und gewisse Standards für einen guten Umgang mit der Mög­lichkeit der Kontaktaufnahme zu setzen ist die zentrale Aufgabe des Journalismus in den nächsten Jahren, wenn er einen „Dialog auf Augenhöhe“ erreichen will.

Literaturverzeichnis

Verwendete Quellen:

Weiterführende Literatur:

Altmann, Myrian-Natalie  (2011): User Generated Content im Social Web. Warum werden Rezipi­enten zu Partizipienten? Münster: LIT Verlag.

Studie über die Motive der User vom Rezipienten zum Partizipienten zu werden.

Bergt, Swenja/Welker, Martin (2013). Online-Feedback als Teil redaktioneller Qualitätsprozesse von Tageszeitungen – eine Inhaltsanalyse von Leserkommentaren. In: Fraas, Claudia/Meier, Stefan/Pentzold, Christian (Hrsg.): Online-Diskurse. Theorien und Methoden transmedialer Online-Diskursfor­schung. Neue Schriften zur Online-Forschung, Band 10. Köln: Halem Verlag.

Untersuchung des Potentials von Kommentaren bei Online-Auftritten von Zeitungen, indem aufge­zeigt wird wie Redaktionen Moderieren und welchen Mehrwert sie aus Kommentaren ziehen.

Döring, Nicola (2003): Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. (2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage). Göttingen: Hogrefe Verlag.

Eine Art Nachschlagewerk zur Entstehung und Nutzung des Internets bis hin zur Entwicklung von sozialen „Online-Beziehungen“.

Primbs, Stefan (2016): Social Media für Journalisten. Redaktionell arbeiten mit Facebook, Twitter& Co. Wiesbaden: Springer.

Bietet eine kompakte Darstellung der Social Media Grundlagen und zeigt potentielle redaktionelle Strategien hierfür auf. Zudem rücken die Rezipienten in die Rolle der aktiven Partner der Journa­listen.

Springer, Nina (2014): Beschmutzte Öffentlichkeit? Warum Menschen die Kommentarfunktion auf Online-Nachrichtenseiten als öffentliche Toilettenwand benutzen, warum Besucher ihre Hinterlas­senschaften trotzdem lesen, und wie die Wände im Anschluss aussehen. Münster: LIT Verlag.

Autorin erforscht warum User die Kommentarfunktion nutzen und Kommentare anderer lesen.

 

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