AG1: Redaktioneller Umgang mit Nutzerkommentaren

Kommentieren ohne Umwege?

Durch das Internet ist nicht nur die Verbreitung von journalistischen Inhalten einfacher geworden, auch die Kommunikation zurück zur Redaktion ist weniger komplex. Statt einen Brief zu schreiben, muss der Rezipient „nur“ ein paar Zeilen tippen und auf Enter drücken, um die Mail oder den Kommentar abzuschicken oder zu veröffentlichen. Eine (Anschluss-)Kommunikation ohne Umwege, ohne den Gang zur Post.

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Abbildung 1: Screenshot des Kommentarbereichs von ZEIT Online

Die zentrale Frage – aus journalistischer Sicht – ist, wie sollen Redaktionen mit der Vielzahl an Kommentaren umgehen? Wünschenswert wäre, dass ein Dialog auf Augenhöhe entstünde. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sich jedoch Nutzer an einen Umgangston (Netiquette) halten und die Redaktionen brauchen klare Richtlinien, wann sie wie und wem antworten sollen – oder besser: wollen.

  1. Nutzerbefragung

Mittels einer Online-Nutzerbefragung hat sich die Arbeitsgruppe 1 der Frage genähert: „Was erwarten Nutzer von einer journalistischen Redaktion im Umgang mit Kommentaren?“ Dabei wurden auch verschiedene Ideen für die Praxis vorgestellt, die dann von den Befragten bewertet werden sollten.

An dieser Befragung, mittels Fragebogen, haben 77 Befragte teilgenommen. Diese Nutzerbefragung stellt keinen Anspruch auf Repräsentativität und es sei darauf hingewiesen, dass der überwiegende Teil der Befragten weiblich und 16 bis 30 Jahre alt war. Auch hinsichtlich der Bildung lässt sich eine überproportional hohe Anzahl an Probanden mit Abitur bzw. Hochschulabschluss identifizieren.

Wichtige Erkenntnisse:  Wenige der Befragten schreiben selbst Kommentare unter journalistische Beiträge, viele lesen jedoch Kommentare und Diskussionen. Unter den Befragten finden nur wenige den Austausch mit der Redaktion wichtig. Das Klima in den Kommentaren wird zumeist negativ empfunden.

Überwiegend positiv wurde die Idee aufgenommen, die Nutzer vor dem Verfassen des Kommentars über das Motiv der Kontaktaufnahme zu befragen. Auch das Einrichten von Diskussionsrunden oder Sprechstunden für eine Kontaktaufnahme mit den jeweiligen Journalisten wurde von den befragten Personen positiv bewertet. Ein wenig mehr als die Hälfte der Befragten fand die Anregung gut, ein inhaltliches Quiz als Voraussetzung für das spätere Kommentieren zu machen. Die Möglichkeit, im Vorfeld angeben zu können, welche Reaktion man sich auf sein Posting erwartet, wurde von den Befragten eher negativ aufgenommen.


Hier erfahren Sie mehr zu den Ergebnissen 
der Nutzerbefragung.

  1. Fragen an die Zuschauerredaktion: Erstes Deutsches Fernsehen

Um die Frage zu beantworten, wie man als Redaktion einen umsetzbaren Dialog auf Augenhöhe führen kann, wurde außerdem eine schriftliche Anfrage an die Zuschauerredaktion des Ersten Deutschen Fernsehens gestellt. Hier wurde um eine Bewertung verschiedener Ideen und um eigene Impulse gebeten.

Wichtige Erkenntnisse: Aus Sicht der Zuschauerredaktion findet ein Dialog auf Augenhöhe bereits statt.  

Klassische Motive sind der Kontakt zum Sender, so wie eine positive und negative Ventilfunktion. Außerdem wird Kontakt aufgenommen, um sich zu einem bestimmten Thema und nicht nur zur Sendung selbst zu äußern. Die Beiträge werden zum jetzigen Zeitpunkt anhand der Kommentarrichtlinien gefiltert. Eine darüber hinausgehende Filterung erscheint aus Sicht der Zuschauerredaktion zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll.

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Abbildung 2: Screenshot eines Beitrags der Facebookseite von „tagesschau“ wie ein Dialog online funktioniert

Hier finden Sie die Fragestellung und die Antworten 
der Zuschauerredaktion im Wortlaut.

 Zusammenfassung der Ergebnisse und die Ableitung des Modells:

Aus dem Fragebogen und der Anfrage bei der Zuschauerredaktion des Ersten Deutschen Fernsehens lässt sich kein festes Muster im Hinblick auf die Nutzung der Kommentarfunktion feststellen. Ein Großteil der Nutzer erwartet keinen Dialog mit den Fachredaktionen, wenn sie einen Beitrag kommentieren. Beim Ersten Deutschen Fernsehen kommt es zwar bereits zu einem Dialog auf Augenhöhe, jedoch gibt es auch eine Vielzahl an Beiträgen, die keinen Dialog mit den Fachredaktionen anstreben.

In der Praxis bietet sich für große Medienunternehmen ein zweistufiges Modell an, um die Nutzer, die einen journalistischen Dialog auf Augenhöhe wünschen von den Nutzern zu trennen, die keinen Dialog mit der jeweiligen Redaktion wünschen.  

Auf erster Stufe werden alle Beiträge (also alle Kommentare auf der Seite) durch eine vorgelagerte Social-Media Redaktion im Hinblick auf die Kommentarrichtlinien (Netiquette) und im Hinblick auf die Motive der Kontaktaufnahme gefiltert.

Beiträge, die es auf einen journalistischen Dialog abgesehen haben, werden dann an die jeweilige Redaktion weitergeleitet oder für sie vorsortiert. So kann vermieden werden, dass die Journalisten aus den jeweiligen Redaktionen die für einen Dialog geeigneten Kommentare aus einer großen Anzahl von sonstigen Kommentaren heraussuchen müssen.

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Abbildung 3: Eigene Darstellung – Selektion von Kommentaren

Sollte die Anzahl der Kommentatoren, die einen Dialog wünschen, die Kapazitäten der jeweiligen Fachredaktion übersteigen, kann man optional als dritte Stufe weitere Filter implementieren, um Raum für den Dialog zu schaffen. Denkbar ist hier zum Beispiel, Kommentatoren durch die jeweiligen Social-Media Redaktionen (auf erster Stufe) auf eine zeitlich begrenzte Kommentarstunde oder auf persönliche Sprechstunden zu verweisen.

Übersicht: Publikumsbeteiligung und Dialog

Wie man mit dem Publikum in den Dialog tritt, hängt maßgeblich auch davon ab, welche Ziele man sich als Redaktion setzt und welche Formate für einen selbst überhaupt in Frage kommen. Die folgende Übersicht soll einen Überblick über die verschiedenen Formate geben und zeigen, in welchen Phasen eines journalistischen Produkts der Dialog angesetzt werden kann.

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Tabelle 1: Übersicht über Möglichkeiten das Publikum einzubinden (Quelle: eigene Ideen und eigene Darstellung)

Hier können Sie die Tabelle im Großformat öffnen und speichern oder ausdrucken.


Hier gelangen Sie zur Dokumentation der Diskussion auf der Tagung. Interessiert Sie das Thema und sie möchten noch mehr erfahren? Hier finden Sie eine kommentierte Literaturliste. Hier finden Sie die kompletten Ergebnisse der Nutzerbefragung. Die vollständigen Antworten der Zuschauerredaktion der ARD finden Sie hier.